Muskelaufbau nach einer langen Trainingspause
Ich bin mir sicher, dass du aufgrund der Pandemie eine längere Trainingspause hattest und es kaum erwarten kannst wieder ins Gym zu gehen. Sicherlich bist du auch bestrebt die verlorene Muskelmasse, Kraftwerte und Leistung wieder zurückzugewinnen.
In diesem Artikel möchte ich dir mit 4 Schritten helfen, genau das zu erreichen. Das Ziel ist es strategisch die Muskeln und Kraft, die du in der Trainingspause verloren hast, so schnell wie möglich wieder aufzubauen und dabei die Gefahr von Verletzungen und Übertraining bestmöglich auszuschließen.
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze
- Der Trainingswiedereinstieg sollte vorab geplant werden, um schnellstmöglich wieder an die persönliche Leistung, Muskelmasse und Kraftwerte anschließen zu können.
- Einbußen in der Muskelmasse und Kraft sind ganz normal und kein Grund zur Panik. Dank des Muscle-Memory-Effekts wirst du deine Muskulatur schnell wiederherstellen können.
- Optimalerweise startest du dein Training mit 7-10 Sätzen pro Muskel/ Woche, wobei du jeden Muskel 2-mal in der Woche mit einer Intensität von 50-60% deines alten 1RMs trainierst. Die Wiederholungszahl sollte hierbei zwischen 4-6 liegen.
Wie steige ich nach einer Trainingspause am besten wieder ins Training ein?
Nach einer langen Pause will kein/e Sportler/in den Standardsatz „Langsam und kontinuierlich trainieren“ hören. An dieser Stelle ist es viel interessanter zu wissen, wie man seine erzielten Fortschritte schnell wiederbekommt, ohne ein weiteres Jahr für den Wiederaufbau aufbringen zu müssen.
Ich denke dieses Bestreben ist verständlich und an dem Ansatz ist auch nichts falsch, solange der Trainingseinstieg strukturiert und angemessen geplant ist. Bevor wir zu den einzelnen Punkten für einen optimalen Trainingswiedereinstieg kommen, schauen wir uns noch kurz an, wie der Trainingseinstieg in der Praxis häufig aussieht.
Um „keine Zeit zu verlieren“ steigen viele Leute mit dem Trainingsvolumen und der Intensität ein, mit der sie aufgehört haben. Wenn vor der Trainingspause zum Beispiel 15 Sätze pro Woche durchgeführt wurden, steigen viele mit den 15 Sätzen pro Woche auch wieder ins Training ein. Bei der Intensität sieht es ähnlich aus. Sätze und Übungen werden in dem Fall bis zum Muskelversagen durchgeführt, weil man erstmal nicht mit niedrigeren Gewichten als gewohnt trainieren möchte.
Mit dieser Herangehensweise ist ein Scheitern garantiert, da es nur die Seite der Trainingsgestaltung berücksichtigt und den Aspekt der Regeneration völlig außer Acht lässt.
Nimmt der Trainingsreiz zu schnell und zu stark zu, verlängert sich auch die benötigte Regenerationszeit. Oftmals wird die Regeneration aber nicht berücksichtigt. Wenn du also so schnell wie möglich deine Ausgangsleistung wiederherstellen möchtest, musst du eine angemessene Balance zwischen Reiz und Regeneration finden, um positive Anpassungen zu maximieren. Dabei ist das Bestimmen des richtigen Verhältnisses gar nicht so einfach, da sich mit der Trainingspause auch deine Regenerationsfähigkeit verändert hat. Im Folgenden werde ich dir zeigen, worauf du beim Wiedereinstieg gezielt achten solltest.
Nach einer längeren Pause hast du das Anpassungspotential eines Trainingsanfängers
Egal was Trainingsanfänger am Anfang im Zusammenhang mit einem Krafttraining machen, es unweigerlich einen positiven Effekt haben und sich in einer Zunahme an Muskelmasse und Kraft widerspiegeln. Dieser Effekt erlischt aber mit zunehmenden Trainingsniveau, weshalb die Trainingsplanung dann immer wichtiger wird.
Dieses extrem hohe Anpassungspotential sieht man bei krafttrainingserfahrenen Personen nur bei einer Nutzung von illegalen Substanzen wie Steroiden oder infolge einer längeren Trainingspause. Dafür ist der Muscle-Memory-Effekt verantwortlich. Studien haben immer wieder gezeigt, dass es einfacher und schneller geht Muskeln wiederaufzubauen, als Muskeln neu aufzubauen.1
Wenn du also deine verlorene Muskelmasse, Kraft und Leistung schnellstmöglich wiederbekommen willst, ist ein strukturierter, geplanter und niedergeschriebener Trainingsplan Voraussetzung, bevor du wieder ins Training einsteigst.
Bei einem improvisierten Training kommt es sehr schnell dazu, dass man zu viel macht und dementsprechend das Verhältnis zwischen Belastung und Erholung nicht mehr stimmt und man sich so selbst sabotiert.
Kraftverluste sind ganz normal und kein Grund zur Panik
Auch wenn die Kraftwerte bei einer Trainingspause länger unbeeinflusst bleiben, als oftmals angenommen, wirst du in Folge der wirklich langen Coronapause, höchstwahrscheinlich Krafteinbußen haben.
McMaster und Kollegen haben 2013 ein Review veröffentlicht, in dem unter Berücksichtigung von 27 Studien bei Elite Rugby und American Football Spielern untersucht wurde, welche Auswirkungen eine Trainingspause auf die Kraft und Leistung hat.2
Die Forschungsgruppe fand heraus, dass bei einer 7-wöchigen Pause, die Kraft durchschnittlich um 15 Prozent abnahm, wobei eine gewisse Variabilität bei den einzelnen Studien hinsichtlich der Abnahmerate festzustellen ist. Letztendlich wird in dem Review final herausgestellt, dass die Kraftwerte bis zu drei Wochen ohne Training erhalten bleiben, bevor sie dann signifikant abnehmen.
Um den Kraftverlust infolge einer Trainingspause noch besser einordnen zu können, gibt die Studie von Blazevich und Kollegen aus dem Jahr 2007 weitere erwähnenswerte Einblicke.3 In der Studie führten die Probanden ein 10-wöchiges Krafttraining durch, indem mehrere Sätze an einer Beinstrecker-Maschine in einem Wiederholungsbereich von 4-6 Wdh. durchgeführt wurde.
Nach den 10 Wochen mussten die Probanden dann eine 3-monatige Pause einlegen, in der sie gar nicht trainierten. Nach den ersten 10 Wochen Training hatten die Probanden natürlich ihre Kraftwerte steigern können. Infolge der 3-monatigen Pause fielen die Kraftwerte dann auf das Level der ersten 5 Wochen zurück. In anderen Worten die Probanden verloren nach einer 3-monatigen Pause die Hälfte ihrer Kraftzuwächse. Die Kraftzuwächse gingen also nicht ganz verloren und waren nach 3 Monaten Pause immer noch höher als die Anfangswerte vor der Trainingsphase.
Für die Praxis bedeutet das, dass man in Folge einer längeren Pause schwächer wird, man aber nicht die gesamten Kraftzuwächse verliert und das sogar nach mehreren Monaten Pause.
Beim Krafttraining ist es genauso wie bei jedem anderen Sport. Je länger man es macht, desto bessere Fähigkeiten entwickelt man auch. D.h. je länger du vor der Pause trainiert hast, desto langsamer nehmen deine Muskelmasse und deine Kraftwerte ab. Des Weiteren wirst du nach einer Pause auch schneller wieder in das Training kommen.
Nach einer längeren Pause werden sich die Bewegungen schwerfälliger und die Übungen schwerer anfühlen. Das ist ganz normal. Deshalb solltest du beim Wiedereinstieg dein Ego erstmal ausblenden und deine Erwartungen bzw. deine Trainingsgestaltung an den momentanen Ist-Zustand auslegen. Alte Zahlen und Benchmarks kannst du erstmal vergessen, weil sie an dieser Stelle irrelevant sind. Protokolliere dein Training in den ersten Wochen und du wirst sehen, wie schnell sich deine Werte verbessern.
Mit folgender Daumenregel kann man bestimmen wie lange man ungefähr braucht, um die alten Kraftwerte wiederzuerlangen:
Man braucht ungefähr die Hälfte der Zeit der Pause, um das alte Kraftniveau wieder zu erreichen. Konkret bedeutet das, wenn du 6 Monate Pause hattest, brauchst du ca. 3 Monate, um deine Kraftwerte wieder auf das Niveau wie vor der Pause zu bringen. Genetische Komponenten, wie aber auch ein gut geplantes Trainingsprogramm, können dabei die Zeit verkürzen.
Die Studie von Seaborne und Kollegen aus dem Jahr 2018 verdeutlicht das ganze noch einmal schön. Die Probanden in dieser Studie führten zunächst 7 Wochen ein Unterkörper-Krafttraining durch. Darauf folgte ein 7-wöchiges Detraining (kein Training) und anschließend wieder ein 7-wöchiges Krafttraining.4
Die Ergebnisse zeigen, dass die Kraft im Quadrizeps infolge der ersten 7 Wochen um 9 Prozent zunahm. In der Detraining Phase nahm die Kraft im Quadrizeps um 8 Prozent ab. Nach der zweiten 7-wöchigen Trainingsphase erzielten die Probanden einen Kraftzuwachs von 18 Prozent. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Probanden nach 3-4 Wochen wieder die Kraftwerte wie vor der Detraining Phase hatten und in den restlichen Wochen des 2. Trainingsblocks ihre Kraft noch zusätzlich steigern konnten. Hier sieht man wunderbar wie die oben genannte Daumenregel zutrifft.
Wähle die richtigen Übungen und vermeide Muskelkater
Nach den ersten beiden Punkten weißt du nun, was du nach einer längeren Trainingspause erwarten kannst. In den beiden folgenden Punkten wird es darum gehen, wie du letztendlich dein Training gestalten solltest, um bestmöglich wieder einzusteigen.
Das Wichtigste hierbei ist, dass du Übungen wählst, die möglichst wenig bis keinen Muskelkater verursachen. Den Muskelkater solltest du bei einem Wiedereinstieg bestmöglich vermeiden! Muskelkater bringt nämlich keinen weiteren Vorteil für die Wiederherstellung deiner Muskulatur und Kraft, sondern mindert einfach nur deine Leistung und Regeneration. Weitere Infos zum Muskelkater findest du hier.
Höchstwahrscheinlich wirst du nach den ersten Trainingseinheiten Muskelkater haben, was nach einer längeren Trainingspause aber in Ordnung und normal ist. Nichtsdestotrotz solltest du versuchen das Training so zu gestalten, dass du am Ende kaum bis gar keinen Muskelkater hast. Das schaffst du unteranderem mit der richtigen Wahl an Übungen. Der Fokus sollte auf Übungen liegen, die keine großen Muskelschäden verursachen.
Aus dem Grund solltest du erstmal Übungen meiden, in denen die Muskulatur stark gedehnt wird (z. B. rumänisches Kreuzheben oder Ausfallschritte). Der Hintergrund dafür ist, dass bei Übungen, in denen die Muskulatur stark gedehnt wird, potentiell größere Muskelschäden entstehen, welche wiederum eine längere Regenerationszeit zur Folge haben.
Stattdessen eignet sich zum Einstieg wunderbar das Maschinentraining. Man kann die Muskulatur sehr gut reizen, ohne den Körper zu großer mechanischer Belastung auszusetzen. D. h. konkret, der Trainingsreiz ist optimal und die Regeneration dauert auch nicht so lange wie nach einem Training mit freien Gewichten. Natürlich kannst du auch Grundübungen und freie Gewichte zum Trainingseinstieg nutzen. Hierbei sollte dir aber bewusst sein, dass diese Übungen zwar einen großen Trainingsreiz setzen, deswegen aber auch körperlich sehr beanspruchend sind und somit die Regeneration länger dauert. Wenn du dich bei deinem Trainingseinstieg für freie Gewichte und Grundübungen entscheidest, solltest du wirklich darauf achten, dass du locker einsteigst. So schützt du dich vor Verletzungen und der Gefahr des Übertrainings.
Die richtigen Belastungsnormative wählen (Volumen, Intensität, Frequenz)
Nach einer Trainingspause solltest du auf gar keinen Fall mit dem Training starten, mit dem zuletzt aufgehört hast. Bevor du wieder richtig ins Training einsteigen kannst, solltest du dir 2-4 Wochen Zeit für eine Einführungsphase nehmen, in der du deinen Körper wieder an das Training gewöhnst.
In den ersten 1-2 Wochen ist das Ziel die neuromuskuläre Ansteuerung wiederherzustellen. Aus dem Grund solltest du bei allen Übungen, vor allem aber bei den Grundübungen (Kniebeuge, Kreuzheben, Bankdrücken, Schulterdrücken, Rudern, Klimmzüge) hauptsächlich auf die Ausführung/ Technik achten, um das Zusammenspiel von Gehirn und Muskulatur wiederherzustellen.
In Woche 3 und 4 kann die Trainingsbelastung dann stufenweise weiter gesteigert werden. D.h. das Trainingsgewicht und das Volumen können erhöht werden. Nach den 4 Wochen kannst du dann in der Regel wieder ganz normal nach deinem gewohnten Trainingsmuster trainieren.
Intensität/Last
Bei Grundübungen sollte am Anfang die Intensität nicht höher als eine RPE 5 sein. (d. h. 5 Wiederholungen wären noch möglich gewesen) Das Gewicht wird bei ca. 50-60 Prozent deines alten 1RM liegen. Die Wiederholungszahl liegt optimalerweise zwischen 4-6 Wdh.
Konkretes Beispiel: Wenn deine 1RM (One-Repetion-Max) in der Kniebeuge 120 kg war, startest du in der Einführungsphase mit 60 kg à 2-3 Sätze mit 4-6 Wdh.
Bei Isolationsübungen an Maschinen oder dem Kabelzug kann die RPE auch bei 7-8 liegen (also 2-3 Wiederholungen wären noch möglich gewesen).
Denk daran, besonders in den ersten 1-2 Wochen geht es darum, das Zusammenspiel von Gehirn und der Muskulatur wiederherzustellen und die Muskulatur, Sehnen und Gelenke wieder an das Training zu gewöhnen.
Nach den ersten 2 Wochen kannst du die Intensität in den Grundübungen auf eine RPE 6-7 und in den Isolationsübungen auf eine RPE 8-9 erhöhen.
Volumen
Beim Wiedereinstieg in das Training kannst du ruhig mit 7-10 Sätzen pro Muskelgruppe starten. Nach 2 Wochen kannst du dann anfangen die Sätze weiter zu erhöhen.5 Hierbei bietet es sich an, die Satzanzahl in den Übungen zu erhöhen, auf die du besonders viel Wert legst.
Frequenz
Optimalerweise trainierst du jeden Muskel 2-mal pro Woche. Den Muskel nur einmal pro Woche zu trainieren, wäre ein zu geringer Trainingsreiz und mehr als 2-mal pro Woche birgt die Gefahr, dass du nicht mehr ausreichend regenerieren kannst und somit die Gefahr von Verletzungen und Übertraining steigt. Zum Einstieg empfehle ich dir entweder einen Ganzkörperplan oder einen 2er Splitt-Trainingsplan. Was die Vor- und Nachteile der jeweiligen Pläne sind, findest du hier.
Einzelnachweis
- Gundersen, K. (2016). Muscle memory and a new cellular model for muscle atrophy and hypertrophy. The Journal of Experimental Biology, 219(2), 235–242. doi:10.1242/jeb.124495
- McMaster DT, Gill N, Cronin J, McGuigan M. The development, retention and decay rates of strength and power in elite rugby union, rugby league and American football: a systematic review. Sports Med. 2013 May;43(5):367-84. doi: 10.1007/s40279-013-0031-3 . PMID: 23529287
- Blazevich AJ, Cannavan D, Coleman DR, Horne S. Influence of concentric and eccentric resistance training on architectural adaptation in human quadriceps muscles. J Appl Physiol (1985). 2007 Nov;103(5):1565-75. doi: 10.1152/japplphysiol.00578.2007 . Epub 2007 Aug 23. PMID: 17717119
- Seaborne, R. A., Strauss, J., Cocks, M., Shepherd, S., O’Brien, T. D., van Someren, K. A., Bell, P. G., Murgatroyd, C., Morton, J. P., Stewart, C. E., & Sharples, A. P. (2018). Human Skeletal Muscle Possesses an Epigenetic Memory of Hypertrophy. Scientific reports, 8(1), 1898. https://doi.org/10.1038/s41598-018-20287-3
- Schoenfeld, B., & Grgic, J. (2017). Evidence-Based Guidelines for Resistance Training Volume to Maximize Muscle Hypertrophy. Strength and Conditioning Journal, 1. doi:10.1519/ssc.0000000000000363