You are currently viewing Die 5 größten Mythen im Krafttraining
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Jeder von uns wird den einen oder anderen folgenden Mythos schon mindestens einmal als Tipp oder Ermahnung zum Krafttraining bekommen haben. Für gewöhnlich werden diese Infos auch mit einer guten Absicht weitergegeben. Nichtsdestotrotz stimmen sie nicht und verursachen demzufolge falsche Erwartungen an das Training, bzw. erhöhen in manchen Fällen sogar das Verletzungsrisiko anstatt es zu minimieren. Ich werde dir im Folgenden fünf der bekanntesten Mythen zum Krafttraining vorstellen und zeigen was dran ist und wie sie entstanden sind.

Knie über die Fußspitze ist ungesund

„Deine Knie dürfen bei einer Kniebeuge nicht deine Fußspitzen überragen, ansonsten verletzt du dich oder deine Knie werden langfristig dadurch geschädigt.“ Ich bin mir sicher, dass du den Spruch schon mehrfach gehört hast. Genauso erinnere ich mich an die Zeit, als ich mit dem Krafttraining angefangen habe und bei jeder Kniebeuge peinlichst genau darauf geachtet habe, dass meine Knie nicht über meine Fußspitzen ragen. Heute weiß ich, dass dadurch die Belastung in meinen Bandscheiben extrem erhöht war. Das Bedauerliche daran ist, dass mir diese Info damals vom Fachpersonal im Fitnessstudio gegeben wurde. Auch heute gibt es noch viele Trainer, die Trainingsanfängern die Kniebeuge so  beibringen.
Fakt ist ->Dieser Mythos stimmt nicht!
In der Übersichtsarbeit von Hartmann (2014) wird dieses Thema sehr gut aufgegriffen und gezeigt, dass der Mythos auf eine Fehlinterpretation einer Studie von 1974 zurückzuführen ist. 1 In dieser Studie wurden 12 Gewichtheber hinsichtlich ihrer Kniebeugen untersucht. Dazu wurden Videoanalysen der Bewegung erstellt und entsprechende Kompressionskräfte ermittelt. Die größten Kompressionskräfte im Kniegelenk wurden bei einem Gewichtheber gemessen, der die Knie am weitesten über die Zehenspitze gebracht hatte. Daraus wurde dann die Ableitung getroffen, dass das Überragen der Knie über die Fußspitzen bei einer Kniebeuge ungesund und schädlich ist.
Scheu dich nicht vor der Kniebeuge! Die Kniebeuge ist eine der effektivsten Übungen und bietet zahlreiche Vorteile. Bei einer korrekten Bewegungsausführung brauchst du keine Angst vor Knie- oder Rückenverletzungen zu haben.
Was in dem Fall aber nicht berücksichtigt wurde, ist, wie tief die Kniebeuge ausgeführt wurde. Der Gewichtheber, der die Knie über die Fußspitzen gebracht hatte, beugte bis zu einem Kniewinkel von 90° bevor die Bewegungsrichtung wieder geändert wurde. Andere Athleten, die tiefer als 90° beugten, wiesen geringere Kompressionskräfte auf. Viele biomechanische Untersuchungen und Modelle haben in den folgenden Jahren gezeigt, dass die Belastung im Kniegelenk  am höchsten bei einer Kniebeuge ist, wenn der Umkehrpunkt in einem Kniewinkelbereich von 80-90% liegt. Das war letztendlich der ausschlaggebende Punkt wieso der Gewichtheber so hohe Kompressionskräfte aufwies. Die hohen Kompressionskräfte entstanden durch die Bewegungsausführung bis 90° und nicht durch das Knie über die Zehenspitzen bringen. Studien der vergangenen Jahren bestätigt, dass es kein Problem darstellt die Knie über die Zehenspitzen zu bringen, solange die Bewegungsausführung korrekt ist.2 Abhängig von deiner Anatomie wirst du gegebenenfalls gar nicht in der Lage sein eine tiefe Kniebeuge auszuführen, ohne dass deine Knie bei der Übung über deine Zehenspitzen ragen. Bei einer Kniebeuge sind die Länge des Torsos, Femurs (Oberschenkelknochen) und Tibia (Schienbein) entscheidend. Mit einem relativ kurzen Torso, relativ langem Femur und/ oder einer relativ lange Tibia werden deine Knie automatisch über deine Zehenspitzen bei einer tiefen Kniebeuge ragen. Aber kein Grund zur Sorge!
Abhängig von der gewählten Kniebeugevariante, der Oberkörper- und Beinlänge kann es sein, dass deine Knie über deine Fußspitzen ragen. Bei einer richtigen Bewegungsausführung brauchst du dir da keine Sorgen machen.
Was die Studienlage zeigt ist, dass das Verletzungsrisiko sogar steigt, wenn man krampfhaft versucht die Knie auf die maximale Höhe der Fußspitzen zu bringen. Der Oberkörper muss viel stärker geneigt werden, um die Balance zu halten, wodurch die Rumpfflexion im Brustwirbelsäulenbereich und Lendenwirbelsäulenbereich stark zunimmt und viel höhere Scherkräfte auf die Bandscheiben wirken. 3 Fazit: Der Mythos stimmt nicht und ist auf eine Fehlinterpretation zurückzuführen. Durch das aktive Zurückhalten der Knie erhöhen sich die Scherkräfte in den Bandscheiben!  

Tiefe Kniebeugen sind schädlich für die Kniegelenke

Eine weitere weitverbreitete Annahme bezüglich der Kniebeuge ist, dass tiefe Kniebeugen schädlich für die Kniegelenke sind, weil die Kompressionskräfte in der Position am höchsten sein sollen. Wie auch schon bei dem Mythos zuvor gezeigt, sind die Kompressionskräfte bei einer Kniebeuge in einem Kniewinkel von 90° am höchsten. Kniebeugen unterhalb und oberhalb von 90° weisen geringere Kompressionskräfte auf. Des Weiteren vergrößert sich die Kontaktfläche der Quadrizepssehne und Femurfurche unterhalb eines Kniewinkels von 90°, wodurch eine bessere Kraftverteilung im Gelenk entsteht.4 Aufgrund der Hebelverhältnisse kann man bei einer tiefen Kniebeuge im Vergleich zur halben oder Viertelkniebeuge nicht so viel Gewicht bewegen, wodurch dann auch noch einmal insgesamt eine geringere Belastung für den Bewegungsapparat entsteht. Du siehst also, dieser Mythos ist bei einer technisch einwandfrei ausgeführten Kniebeuge unbegründet. Ich möchte hier explizit darauf hinweisen, dass das nur für gesunde Personen gilt. Solltest du akute Verletzungen oder eine Verletzungshistorie haben, muss definitiv noch einmal individuell überprüft werden, welches Bewegungsausmaß für dich Sinn macht. Fazit: Die tiefe Kniebeuge ist nicht schädlich für die Kniegelenke!

Nur wenn man Muskelkater hat wachsen die Muskeln

Lange bestand die wissenschaftliche Annahme, dass Muskelkater auf eine Übersäuerung der Muskulatur zurückzuführen ist. Es stimmt, dass in Folge eines Krafttrainings das Stoffwechselnebenprodukt Laktat (Milchsäure) anfällt und die Muskulatur übersäuert. Dennoch ist dieser Vorgang nicht für den Muskelkater verantwortlich. Mittlerweile weiß man, dass Muskelkater auf Verletzungen der Muskulatur zurückzuführen sind. Durch sehr intensives Training entstehen Mikrorisse in der Muskulatur, die sich als die bekannten Schmerzen des Muskelkaters äußern. Um den Mythos besser verstehen zu können, müssen wir kurz darauf eingehen, wie die Hypertrophie zustande kommt. Trainingsanpassungen laufen grundsätzlich nach folgendem Schema ab. In der Phase der Homöostase wird nun ein Belastungsreiz gesetzt, welcher zunächst einmal für Abbauprozesse im Körper sorgt, bevor dann Aufbauprozesse stattfinden können, die sich folglich in größeren Muskeln bei der Hypertrophie äußern. Wie am Anfang beschrieben ist der Muskelkater die Folge von Mikroverletzungen der Muskulatur und ist somit ein „subjektiv feststellbarer Indikator für Abbauprozesse“ im Körper, worauf Aufbauprozesse (Adaptationen) folgen müssen. Und genau das ist die Grundlage für diesen Mythos! Die Annahme ist, dass muskulären Schädigungen Voraussetzung für die Hypertrophie sind und muskuläre Schädigungen nur dann zustande gekommen sind, wenn man Muskelkater hat. Aber stimmt das auch? Die aktuelle Studienlage zeigt, dass eine akute Muskelschädigung nicht notwendig für Hypertrophieeffekte ist. 5 6 7 Es gibt noch weitere Mechanismen, die für eine Hypertrophie sorgen. Nichtsdestotrotz haben leichte bis moderate Muskelschädigungen einen additiven Effekt auf die Hypertrophie. In der Grundidee des Mythos steckt also etwas Richtiges.
Zu intensives Training führt zu Verletzungen deiner Muskulatur. Starker Muskelkater sorgt nicht für größeres Muskelwachstum, sondern sabotiert deine Hypertrophie.
Muskelkater ist aber schon ein Zeichen für große muskuläre Schädigungen und große Muskelschädigungen haben einen negativen Einfluss auf das Muskelwachstum. Zunächst erhöht sich deine Regenerationszeit, was sich negativ auf die Gesamtzahl der Trainingseinheiten pro Woche auswirkt. Eine weitere Folge ist, dass sich deine Performance über einen längeren Zeitraum verschlechtert. D.h. selbst wenn du wieder trainierst, wirst du weniger Kraft haben und kannst somit keinen überschwelligen Reiz in deinem Training setzen, was negative Konsequenzen für dein Muskelwachstum hat. 8 Zu guter Letzt kann das langanhaltende unangenehme Gefühl des Muskelkaters deine Trainingsmotivation senken. Fazit: Muskelkater ist nicht notwendig um Muskulatur aufzubauen. Ganz im Gegenteil: langanhaltender/ intensiver Muskelkater hat negative Auswirkungen auf deine Trainingsfortschritte und zeigt dir, dass du an deiner Trainingsplangestaltung was ändern solltest.  

Krafttraining macht langsam und unbeweglich

Das erste Bild ,welches den meisten an dieser Stelle in den Kopf kommt sind extrem muskulöse Bodybuilder, die aufgrund ihrer extremen Muskelmassen Probleme bei alltäglichen Tätigkeiten wie z.B. dem Schuhe binden haben. Diese Personengruppe kann aber nicht zur Verallgemeinerung herangezogen werden. Extrem muskulöse Bodybuilder weisen unnatürliche Muskelmassen auf, die mit normalem dopingfreien Krafttraining niemals erreicht werden können. Bis in den 1940er Jahren wurde der Standpunkt, dass Krafttraining langsam und unbeweglich macht, auch in der Wissenschaft vertreten. Heute ist die Wissensstand dazu aber überholt und es zeigt sich, dass Krafttraining sogar positive Effekte auf die Schnelligkeit und Beweglichkeit hat. Die Empfehlungen der aktuellen Studien und aus der Praxis gehen schon mehrere Jahre darauf ein, dass Krafttraining gezielt genutzt werden soll, um die Schnelligkeit zu verbessern. Zahlreiche Ergebnisse der Anwendung in der Praxis zeigen, dass eine Verbesserung der Maximalkraft in der Kniebeuge eine verbesserte 5-30m Sprintzeit zur Folge hat.9 Bei einem 1RM Kniebeugewert der beim 2-fachen des eigenen Körpergewichts liegt, sind diese positiven Effekte besonders groß.10
In den meisten Sportarten sind kurze Sprints extrem wichtig. Eine Verbesserung der Maximalkraft wirkt sich positiv auf deinen Antritt aus.
Ein richtig durchgeführtes Krafttraining hat auch keine negativen Effekte auf die Beweglichkeit. Es ist sogar so, dass das Krafttraining an sich, die Beweglichkeit verbessern kann. Voraussetzung dafür ist, dass man das ganze Bewegungsausmaß (ROM) bei den einzelnen Übungen im Krafttraining nutzt. 11 Ein entscheidender Punkt an dieser Stelle ist, dass man ein ausgeglichenes Krafttraining durchführen muss. Agonisten und Antagonisten müssen gleichermaßen trainiert werden. Wird ein Muskel verstärkt trainiert, bildet sich ein Ungleichgewicht aus, was dann tatsächlich zu Beweglichkeitseinschränkungen führen kann. Fazit: Zielgerichtetes Krafttraining verbessert die Schnelligkeit. Ein ausgeglichenes Krafttraining schränkt die Beweglichkeit nicht ein, sondern kann die Beweglichkeit sogar verbessern.12

Fett kann in Muskeln umgewandelt werden

Die ultimative Wunschvorstellung : Überschüssiges Fett direkt in Muskeln umwandeln. Bis heute wird diese Wunschvorstellung in vielen Werbeaktionen genutzt und Personen falsche Hoffnungen gemacht. Fakt ist, dass Fett nicht unmittelbar in Muskeln umgewandelt werden kann! Die Fettverbrennung und der Muskelaufbau sind zwei komplett verschiedene Prozesse im Körper. Um Fett zu verbrennen, muss man im Kaloriendefizit sein und um Muskeln aufzubauen, braucht man einen Kalorienüberschuss. Auch rein chemisch und biologisch betrachtet sind Fett und Muskeln zwei komplett verschiedene Gewebeformen. Fettgewebe ist ein reiner Energieträger, wohingegen Muskelgewebe aus vielen einzelnen Bestandteile besteht und aktive Funktionen im Organismus hat. Die einzige Gemeinsamkeit des Fett- und Muskelgewebes ist, dass beides Gewebe ist. Aufgrund dessen kann man aber nicht einfach ableiten, dass sich das eine in das andere umwandeln lässt. Schließlich kann man eine Banane auch nicht in eine Mango umwandeln, nur weil beides Obst ist. Der Fettabbau und der Muskelaufbau sind zwei unterschiedliche Prozesse, die unabhängig voneinander gesehen werden müssen. Fett in Muskeln umwandeln ist nicht möglich. Jedoch ist es möglich durch fein abgestimmtes Training und eine fein abgestimmte Ernährung mit unterschiedlichen Kalorienzyklen, über einen längeren Zeitraum „gleichzeitig“ den Körperfettanteil zu reduzieren und den Muskelanteil steigern. Auf die sogenannte „Body Recomposition“ werde ich in einem weiteren Beitrag genau eingehen.  
Hat dir der Beitrag gefallen und hast du etwas Neues gelernt? Es würde mich freuen, wenn du dir eine Minute nimmst und diesen anonymen Fragebogen ausfüllst. Dadurch kann ich in Zukunft die Beiträge noch interessanter und relevanter für dich gestalten. Unter diesem Link kommst du sofort zu Umfrage: https://easy-feedback.de/umfrage/1307905/f2iSqP
     

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Einzelnachweis

  1. Ariel, B. (1974). Biomechanical analysis of the knee joint during deep knee bends with heavy load.
  2. Hartmann, H., & Wirth, K. (2014). Literaturbasierte Belastungsanalyse unterschiedlicher Kniebeugevarianten unter Berücksichtigung möglicher Überlastungsschäden und Anpassungseffekte. Schweizerische Zeitschrift Für Sportmedizin & Sporttraumatologie62(1), 6–23.
  3. McKean, M. R., Dunn, P. K., & Burkett, B. J. (2010). The lumbar and sacrum movement pattern during the back squat exercise. Journal of strength and conditioning research24(10), 2731–2741. https://doi.org/10.1519/JSC.0b013e3181e2e166
  4. Hartmann, H., & Wirth, K. (2014). Literaturbasierte Belastungsanalyse unterschiedlicher Kniebeugevarianten unter Berücksichtigung möglicher Überlastungsschäden und Anpassungseffekte. Schweizerische Zeitschrift Für Sportmedizin & Sporttraumatologie62(1), 6–23.
  5. Brentano, M. A., & Martins Kruel, L. F. (2011). A review on strength exercise-induced muscle damage: applications, adaptation mechanisms and limitations. The Journal of sports medicine and physical fitness51(1), 1–10.
  6. Schoenfeld, B. J., & Contreras, B. (2013). Is Postexercise Muscle Soreness a Valid Indicator of Muscular Adaptations? Strength and Conditioning Journal, 35(5), 16–21. doi:10.1519/ssc.0b013e3182a61820 / Flann, K. L., LaStayo, P. C., McClain, D. A., Hazel, M., & Lindstedt, S. L. (2011). Muscle damage and muscle remodeling: no pain, no gain?. The Journal of experimental biology, 214(Pt 4), 674–679.
  7. Flann, K. L., LaStayo, P. C., McClain, D. A., Hazel, M., & Lindstedt, S. L. (2011). Muscle damage and muscle remodeling: no pain, no gain? Journal of Experimental Biology, 214(4), 674–679. doi:10.1242/jeb.050112
  8. Schoenfeld, B. J., & Contreras, B. (2013). Is Postexercise Muscle Soreness a Valid Indicator of Muscular Adaptations? Strength and Conditioning Journal, 35(5), 16–21. doi:10.1519/ssc.0b013e3182a61820 / Flann, K. L., LaStayo, P. C., McClain, D. A., Hazel, M., & Lindstedt, S. L. (2011). Muscle damage and muscle remodeling: no pain, no gain?. The Journal of experimental biology, 214(Pt 4), 674–679.
  9. Styles, William J.; Matthews, Martyn J.; Comfort, Paul Effects of Strength Training on Squat and Sprint Performance in Soccer Players, Journal of Strength and Conditioning Research: June 2016 - Volume 30 - Issue 6 - p 1534-1539 doi: 10.1519/JSC.0000000000001243
  10. Suchomel, T.J., Nimphius, S. & Stone, M.H. The Importance of Muscular Strength in Athletic Performance. Sports Med 46, 1419–1449 (2016). https://doi.org/10.1007/s40279-016-0486-0
  11. Ribeiro, A. S., Campos-Filho, M. G. A., Avelar, A., Santos, L. dos, Júnior, A. A., Aguiar, A. F., … Cyrino, E. S. (2017). Effect of resistance training on flexibility in young adult men and women. Isokinetics and Exercise Science, 25(2), 149–155. doi:10.3233/ies-170658
  12. Junior, R. M., Berton, R., de Souza, T. M., Chacon-Mikahil, M. P., & Cavaglieri, C. R. (2017). Effect of the flexibility training performed immediately before resistance training on muscle hypertrophy, maximum strength and flexibility. European journal of applied physiology117(4), 767–774. https://doi.org/10.1007/s00421-016-3527-3