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Einer der ersten Tipps, die man häufig im Zusammenhang mit dem Krafttraining bekommt, ist es auf das „Anabole Fenster“ zu achten. Die Annahme ist, dass wenn man nicht unmittelbar nach dem Training Kohlenhydrate und Eiweiße zu sich nimmt, man die Gelegenheit vergibt, das Muskelwachstum und die Regeneration zu beschleunigen.

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass ich deshalb eine lange Zeit nach jedem Training sichergestellt habe, dass ich einen Shake und irgendeine Form von Kohlenhydraten direkt zu mir führe, um das anabole Zeitfenster nicht zu verpassen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass du es genau so gemacht hast oder aktuell machst.

Dank der stetig besser werdenden Forschungsmethoden und Studienanzahl, gibt es mittlerweile viel mehr Informationen zum anabolen Fenster. In diesem Artikel wird es darum gehen wie wichtig das anabole Fenster tatsächlich für den Muskelaufbau ist.

Das Wichtigste in Kürze

  • Als allererstes sollte eine tägliche Eiweißzufuhr von 1.5-2 g pro kg Körpergewicht gewährleistet sein, bevor man sich Gedanken um das Timing der Eiweißeinnahme macht.
  • Wenn du im gefasteten Zustand trainierst oder in den letzten 4-5 Stunden vor dem Training keine eiweißreiche Mahlzeit zu dir genommen hast, solltest du möglichst zeitnah nach dem Training etwas eiweißreiches (>20g E) konsumieren, um den potentiellen Muskelabbau zu verhindern.
  • Wenn du eine eiweißreiche Mahlzeit kurz vor dem Training gegessen hast (<2 Stunden), ist die direkte Zufuhr von Eiweiß und Kohlenhydraten nach dem Training nicht notwendig. Hier ist das Zeitfenster mit 3-4 Stunden deutlich länger als die oftmals angenommen 30-60 Minuten.1

Was ist das anabole Fenster?

Unter dem anabolen Fenster versteht man ein Zeitfenster unmittelbar nach dem Training in dem der Körper laut der Theorie besonders empfänglich für Eiweiße und Kohlenhydrate ist. Die weitläufige Annahme ist, dass dieser Zeitraum nur eine halbe bis maximal eine Stunde nach dem Training anhält.

Deshalb sollte man laut der Theorie unmittelbar nach dem Training eine eiweiß- und im besten Fall auch kohlenhydratreiche Mahlzeit zu sich nehmen. Passiert das nicht, dann war das Training umsonst. Wie ist die Theorie überhaupt entstanden?

Im Körper finden permanent Auf- und Abbauprozesse statt. In der Muskulatur sorgt das Verhältnis zwischen der Proteinbiosynthese (Aufbau von Proteinen) und der Proteolyse (Abbau von Proteinen) dafür, ob die Muskeln letztendlich wachsen oder nicht. Die Nettobilanz der beiden Prozesse ist am Ende das Muskelwachstum oder der Muskelabbau. Die Voraussetzung für den Muskelaufbau ist es eine höhere Proteinbiosyntheserate als Proteinabbaurate zu erzielen.

Proteinbiosynthese > Proteinabbau = Muskelwachstum

Proteinbiosynthese < Proteinabbau = Abbau von Muskulatur

Es ist allgemeiner Konsens, dass infolge eines Krafttrainings sowohl die Proteinbiosynthese, wie aber auch der Proteinabbau (aufgrund der durch das Krafttraining entstandenen Muskelverletzungen) steigen.2 Mit zunehmender Zeit nach dem Training, in der man nichts isst, steigt die Proteinabbaurate weiter an. Ab einem bestimmten Zeitpunkt übersteigt die Proteinabbaurate dann die Proteinbiosynthese, was zu einem Muskelabbau anstatt Muskelaufbau führt.

Katabolismus anabolismus
Durch die Mahlzeit nach dem Training kann man Einfluss auf die auf- und abbauenden Prozesse in der Muskulatur nehmen.

Genau an dieser Stelle erlangt die Theorie des anabolen Fensters Bedeutung. Durch die Zufuhr von einem eiweißreichen Essen oder einem Protein-Shake kurz nach dem Training kann man Einfluss auf die Proteinbiosyntheserate und Proteinabbaurate nehmen. Gestützt wird das ganze durch Studien die gezeigt haben, dass die Eiweißzufuhr nach dem Training3:

  • den weiteren Anstieg der Proteinabbaurate verhindert UND
  • die Proteinbiosyntheserate weiter erhöht. Grund dafür ist die erhöhte Proteinsensitivität nach dem Training.

Aber nicht nur die unmittelbare Zufuhr von Proteinen nach dem Training ist laut der Theorie wichtig, sondern auch die Zufuhr von Kohlenhydraten. Der Hintergrund ist, dass im Training die Glykogenspeicher für die Energiegewinnung geleert werden und diese dementsprechend nach dem Training wieder aufgefüllt werden müssen. Abhängig von der Intensität und Dauer des Trainings ist das dann mehr oder weniger viel.

Wieso die Kohlenhydrataufnahme unmittelbar nach dem Training so wichtig sein soll basiert auf Studienergebnisse, die zeigten, dass bei einer Kohlenhydratzufuhr direkt nach dem Training die Glykogenspeicher doppelt so schnell wieder gefüllt werden, wie wenn die Kohlenhydratzufuhr erst 2 Stunden nach dem Training stattfindet.4

So viel zu der Theorie auf der das anabole Fenster beruht. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen aber, dass es ein paar Haken in der Theorie gibt, die wir uns im Folgenden anschauen werden.

 

Die Theorie basiert auf Ergebnissen nüchternen Trainings

Die Theorie des anabolen Fensters basiert auf Studienergebnissen, in denen Probanden auf nüchternen Magen trainierten. In dem Fall sollte auch unmittelbar nach dem Training Eiweiß konsumiert werden, um einen katabolen Zustand zu verhindern.

Hat man jedoch vor dem Training eine eiweißreiche Mahlzeit zu sich genommen, was normalerweise der Fall ist, besteht keine Notwendigkeit einer direkten Eiweißzufuhr nach dem Training.  Mehrere Studien haben herausgestellt, dass die Proteinbiosynthese durch eine eiweißreiche Pre-Workout Mahlzeit im gleichen Maß aktiviert werden kann wie eine Proteinzufuhr nach dem Training.5

Es gibt sogar Ergebnisse die zeigen, dass im Vergleich einer Proteinzufuhr vor oder nach dem Training, die Proteinzufuhr vor dem Training eine höhere Proteinbiosyntheserate zur Folge hat, als nur eine Proteinzufuhr nach dem Training.6

Da in den meisten Fällen vor dem Muskelaufbautraining gegessen wird, ist das Zeitfenster für das Post-Workout Meal länger als nur eine halbe bis eine Stunde7

Ein gutes Pre-Workout Meal reduziert die Proteinabbaurate

Aufgrund der durch das Krafttraining entstandenen Mikroverletzungen der Muskulatur, steigt nach dem Training die Proteinabbaurate an. Dies führt nach ungefähr 3 Stunden zu einem insgesamt katabolen Zustand. Ab diesem Zeitpunkt kommt es dann zum Muskelabbau.8 Jedoch ist das nur der Fall, wenn man im gefasteten Zustand trainiert. Isst man hingegen ein angemessenes Pre-Workout Meal, braucht man sich darum keine großen Sorgen machen, wie auch folgende Studie noch einmal verdeutlicht. Eine irländische Forschergruppe zeigte, dass eine einfache Pre-Workout Mahlzeit, bestehend aus 45g Whey Protein die Rate aufbauender Prozesse im Körper aufrecht hielt  und den Proteinabbau für 3 Stunden stark reduzierte. 9

Ergänzt man die Mahlzeit noch mit Kohlenhydraten und Fetten, kann dieser anabole Zustand abhängig von der Portionsgröße auf 4-6 Stunden verlängert werden.

Pre-Workout anaboles fenster
Eine gute Pre-Workout Mahlzeit gibt dir nicht nur Energie für das Training, sondern verhindert auch den Katabolismus unmittelbar nach dem Training.

Nach wie vor bleibt eine Mahlzeit nach dem Training ein wichtiger Bestandteil für den Muskelaufbau. Das Zeitfenster ist lediglich nicht so starrsinnig zu betrachten, wie es häufig der Fall ist.

Das Auffüllen der Glykogenspeicher muss nicht unmittelbar nach dem Training passieren

Es stimmt, dass der Körper eine höhere Sensitivität für Kohlenhydrate nach dem Training aufweist. Nichtsdestotrotz zeigen Studien, dass wenn man genug Kohlenhydrate über den Tag verteilt isst, es egal ist, wann man die Kohlenhydrate zu sich führt. Die Glykogenspeicher werden sich bis zum nächsten Tag wieder vollständig auffüllen.10

Eine direkte Zufuhr von Kohlenhydraten nach dem Training ist dann von Vorteil, wenn noch eine weitere Trainingseinheit am Tag ansteht. In dem Fall ergibt es Sinn die Glykogenspeicher schnellstmöglich wieder zu füllen.

Konkret bedeutet das Ganze, dass wenn du eine angemessenes Pre-Workout Mahlzeit zu dir genommen hast und diese auch nicht länger als 3 Stunden vor dem Training zurückliegt, das anabole Fenster 3-4 Stunden anhält. In dem Fall bringt eine direkte Zufuhr einer Post-Workout Mahlzeit oder eines Shakes keine weiteren Vorteile hinsichtlich des Muskelwachstums oder dem Proteinabbau.

Die Gesamtmenge an Eiweiß am Tag ist der wichtigste Faktor

Ein weiteres Problem mit den Studien, die die Anabole-Fenster-Theorie stützen ist, dass in vielen der Studien die Eiweißgesamtmenge pro Tag nicht kontrolliert wurde. Der bessere Muskelaufbau bei den Probanden, die unmittelbar nach dem Training Eiweiß zu sich nahmen, ist demzufolge nicht auf das anabole Fenster zurückzuführen, sondern einfach darauf, dass diese Personen insgesamt mehr Eiweiß als die Kontrollgruppen konsumierten.

Das Ganze wird in der Metaanalyse von Schönfeld und Kollegen bestätigt. Unter Berücksichtigung von 23 Studien, zeigt das Team, dass wenn die Eiweißeinnahme pro Tag kontrolliert ist, die Einnahme einer Post-Workout Mahlzeit oder eines Shakes innerhalb der ersten Stunde nach dem Training keine signifikanten Vorteile bringt.11

Fazit

Eine eiweißreiche Mahlzeit nach dem Training trägt maßgeblich dazu bei Muskeln aufzubauen. Dafür muss in erster Linie aber gewährleistet sein, dass man überhaupt genug Eiweiß am Tag zu sich führt. Entgegen der häufigen Annahme ist das anabole Fenster nach dem Training nicht nur auf 30-60 Minuten limitiert.

Stattdessen zeigen neuste Ergebnisse, dass man ein Zeitfenster von 5-6 Stunden nach der letzten Mahlzeit hat, ohne negative Effekte befürchten zu müssen.

Nichtsdestotrotz empfehle ich dir innerhalb der ersten 1-1.5 Stunden nach dem Training zu essen, wenn du deinen Muskelaufbau optimieren möchtest. Schließlich hast du in dem Fall nur potentiell positive Folgen zu erwarten.

Wohingegen das bei einer extrem verspäteten Post-Workout Mahlzeit anders aussieht. Der Artikel soll dennoch klargemacht haben, dass das Zeitfenster nach dem Training nicht nur auf 30-60 Minuten limitiert ist. Du brauchst dir also absolut keine Sorgen zu machen, wenn du mal erst später nach dem Training essen kannst oder deinen Shake vergessen hast.

 


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Einzelnachweis

  1. Schoenfeld, B. J., & Aragon, A. A. (2018). Is There a Postworkout Anabolic Window of Opportunity for Nutrient Consumption? Clearing up Controversies. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, 48(12), 911–914
  2. Kumar, V., Atherton, P., Smith, K., & Rennie, M. J. (2009). Human muscle protein synthesis and breakdown during and after exercise. Journal of applied physiology (Bethesda, Md. : 1985)106(6), 2026–2039. https://doi.org/10.1152/japplphysiol.91481.2008
  3. P. W., Berardi, J. M., & Noreen, E. E. (2002). The role of protein and amino acid supplements in the athlete’s diet: does type or timing of ingestion matter?. Current sports medicine reports1(4), 214–221. https://doi.org/10.1249/00149619-200208000-00005
  4. Levenhagen, D. K., Gresham, J. D., Carlson, M. G., Maron, D. J., Borel, M. J., & Flakoll, P. J. (2001). Postexercise nutrient intake timing in humans is critical to recovery of leg glucose and protein homeostasis. American journal of physiology. Endocrinology and metabolism280(6), E982–E993. https://doi.org/10.1152/ajpendo.2001.280.6.E982:
  5. Levenhagen, D. K., Gresham, J. D., Carlson, M. G., Maron, D. J., Borel, M. J., & Flakoll, P. J. (2001). Postexercise nutrient intake timing in humans is critical to recovery of leg glucose and protein homeostasis. American journal of physiology. Endocrinology and metabolism280(6), E982–E993. https://doi.org/10.1152/ajpendo.2001.280.6.E982
  6. Tipton, K. D., Rasmussen, B. B., Miller, S. L., Wolf, S. E., Owens-Stovall, S. K., Petrini, B. E., & Wolfe, R. R. (2001). Timing of amino acid-carbohydrate ingestion alters anabolic response of muscle to resistance exercise. American journal of physiology. Endocrinology and metabolism281(2), E197–E206. https://doi.org/10.1152/ajpendo.2001.281.2.E197
  7. Schoenfeld, B. J., & Aragon, A. A. (2018). Is There a Postworkout Anabolic Window of Opportunity for Nutrient Consumption? Clearing up Controversies. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, 48(12), 911–914
  8. Pitkanen, H. T., Nykanen, T., Knuutinen, J., Lahti, K., Keinanen, O., Alen, M., Komi, P. V., & Mero, A. A. (2003). Free amino acid pool and muscle protein balance after resistance exercise. Medicine and science in sports and exercise35(5), 784–792. https://doi.org/10.1249/01.MSS.0000064934.51751.F9
  9. Power, O., Hallihan, A., & Jakeman, P. (2009). Human insulinotropic response to oral ingestion of native and hydrolysed whey protein. Amino acids37(2), 333–339. https://doi.org/10.1007/s00726-008-0156-0
  10. Parkin, J. A., Carey, M. F., Martin, I. K., Stojanovska, L., & Febbraio, M. A. (1997). Muscle glycogen storage following prolonged exercise: effect of timing of ingestion of high glycemic index food. Medicine and science in sports and exercise29(2), 220–224. https://doi.org/10.1097/00005768-199702000-00009
  11. Schoenfeld, B. J., Aragon, A. A., & Krieger, J. W. (2013). The effect of protein timing on muscle strength and hypertrophy: a meta-analysis. Journal of the International Society of Sports Nutrition10(1), 53. https://doi.org/10.1186/1550-2783-10-53